2016 08 22
Ist Schmerz messbar?
Ja, die sicherste Methode ist Ihr persönliches Schmerzempfinden, das Sie mit der Skala von 0 bis 10 bewerten können (Null ist dabei schmerzfrei und zehn ist der stärkste vorstellbare Schmerz, so stark, dass man sich nicht mehr wirklich bewegen kann und vor Schmerzen schreien muss). Um Ihre tatsächlichen Schmerzen, so gut es geht, zu messen, ist es sinnvoll, für einen gewissen Zeitrahmen, ein Schmerztagebuch zu führen, um so gemeinsam mit Ihrem Arzt Ihre Schmerzen so exakt wie möglich zu erfassen. So lassen sich möglicherweise Zusammenhänge und Muster erkennen
Kann das Schmerzgedächtnis gelöscht werden?
Gleich vorweg, so einfach ist das nicht, wie sich das mancher vorstellt, das Schmerzgedächtnis zu beeinflussen oder sogar zu löschen. Man hört öfters von anderen „du musst versuchen dein Schmerzgedächtnis zu löschen“. Je länger ein Schmerz sich chronifiziert und manifestiert, desto schwerer wird es, ihn zu beeinflussen oder gänzlich zu löschen.
Ein akuter Schmerz signalisiert uns im Normalfall, dass etwas nicht stimmt und ist daher sehr sinnvoll, er dient als Warnsignal und schützt uns vor körperlichen Schäden. Akute Schmerzen kann man meistens schnell und gut mit Medikamenten beeinflussen oder oft auch ausschalten. Somit ist körperliche Bewegung möglich, die vorher immer mit Schmerzen verbunden war. So lernt das Gehirn, sich wieder umzuprogrammieren – nach dem Motto – ich bewege mich und es tut doch nicht weh!
Bei chronischen Schmerzen ist diese Funktion allerdings meistens verloren gegangen, es ist ein Fehlalarm oder eine Fehlfunktion entstanden, das ganze System wird somit immer sensibler. Die Funktion des Schutzes ist verloren gegangen und schadet dem Körper sogar. So ist es erklärbar, dass sogar einfache Bewegungen, eine Berührung oder Umarmung beim Betroffenen Schmerzen verursachen können. Es ist einem buchstäblich die Bettdecke zu schmerzhaft.
Die tatsächlichen Ursachen, vor allem bei chronischen Schmerzen (FMS), sind noch größtenteils unbekannt.
Frau Prof. Dr. Rohini Kuner, von der Universität Heidelberg, hat sich intensiv damit beschäftigt, allerdings bei chronisch kranken Mäusen. Sie ist der Frage nachgegangen, wann und warum ein Schmerz zum „Dauerschmerz“ werden kann. Die Vermutung ist, dass sich neue Schmerzbahnen bilden oder bestimmte Nerven, ohne genauen Grund, dauerhafte Schmerzreize auslösen.
Mit einem speziellen Gerät (Multiphotonenmikroskop, ein spezielles Lichtmikroskop), ist es den Wissenschaftlern gelungen, ein sogenanntes Fenster ins Gehirn eines Lebewesens zu öffnen und zu erschaffen. So ist es möglich, in Echtzeit zu beobachten, wie Synapsen (Kommunikation zwischen den verschiedenen Nervenzellen) sich mit der Zeit verändern. Sie fanden heraus, dass sich die Strukturen verändern und sich neue Synapsen bilden. Dieses neu entstandene und empfindliche Nervensystem sendet bereits beim schwachen Signalen Schmerzreize an das Gehirn und bleibt oft als Schmerzgedächtnis dauerhaft bestehen.
Mithilfe der Optogenetik (das ist die Möglichkeit Prozesse, auch Schmerzen, in der Zelle bei lebenden Organismen, wie der Maus, ein bzw. auszuschalten), könnte es langfristig gelingen, das Schmerzgedächtnis so zu verändern, dass es sich sogar wieder vollkommen zurückbildet. Ein wichtiger Grundstein ist gelegt, aber zurzeit gibt es noch keine Möglichkeit, diese Methode bei einem Menschen einzusetzen oder therapeutisch zu nutzen.
Einige chronische Schmerzpatienten glauben, dass es reicht, in eine Klinik zu gehen und dann dort so behandelt zu werden, sodass das Schmerzgedächtnis ohne größere Probleme gelöscht werden kann, doch dies ist leider fast immer eine Utopie. Das bedeutet aber andererseits nicht, dass dies in Ansätzen nicht doch möglich sein kann, vor allem in Zukunft.
Kann man das Schmerzgedächtnis umprogrammieren und positiv beeinflussen?
Ein Schmerzgedächtnis positiv zu beeinflussen und somit die Schmerzen zu reduzieren, ist mit extrem viel Arbeit verbunden und verlangt vor allem vom Patienten und auch von den Ärzten einiges ab.
Die Möglichkeiten, die aktuell bestehen, um das Schmerzgedächtnis zu beeinflussen und bis zu einem gewissen Punkt umzuprogrammieren, liegen vor allem, wie oben bereits erwähnt, beim Patienten selber. Dieser muss lernen, mit den Schmerzen anders umzugehen, seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu fokussieren, man muss quasi sein Schmerzgedächtnis austricksen. Jeder, der unter chronischen Schmerzen leidet, wird die Erfahrung gemacht haben, dass – wenn er etwas mit Leib und Seele unternimmt – etwas, dass Ihm Spaß macht und seine Aufmerksamkeit abverlangt, seine Schmerzen in diesem Moment nicht mehr so stark wahrnimmt.
Es ist extrem wichtig, dem Schmerz nicht seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, auch wenn dies manchmal fast nicht möglich erscheint. Man darf den Schmerzen nicht die Macht geben, unser ganzes Leben negativ zu beeinflussen, denn wenn wir uns unseren Schmerzen vollkommen ergeben, dann besteht auch keine große Hoffnung auf Besserung. Wir müssen lernen, trotz der Schmerzen, die schönen Dinge im Leben wahrzunehmen und, so gut es geht, zu genießen und sich dran zu erfreuen. Dies ist kein einfacher Weg, aber Sie werden merken, dass es einer der wenigen Wege ist, der Ihnen langfristig dabei helfen wird, Ihr Schmerzgedächtnis positiv zu beeinflussen.
Der Gedanke der Einzigartigkeit des Moments, dem Augenblick im hier und jetzt immer wieder göttliche Kraft zu schenken, um so von seinen chronischen Schmerzen abzulenken, ist ein wichtiger Zugang, um ihr „Schmerzgedächtnis“ umzuprogrammieren.
Im hier und jetzt zu leben und etwas "Sinnvolles" zu tun, ist in Wirklichkeit das Ziel menschlichen Seins. Es ist von enormer Bedeutung für uns, sich nicht der Vergangenheit oder der Zukunft zu widmen, sondern der Gegenwart. Was genau die Gegenwart ist, darüber lässt sich lange philosophieren. Aber Sie wissen es selbst, wann haben Sie die größten Glücksgefühle, die schönsten Momente in Ihrem Leben, die, die unvergesslich sind. Fast immer dann, wenn Sie gerade den Augenblick wahrnehmen und sich im hier und jetzt befinden.
Besondere Lebenssituationen verlangen auch besondere Fähigkeiten und Eigenschaften von uns, um mit ihnen leben zu können. So ist es gerade bei chronischen Schmerzpatienten eines der wichtigsten Ziele, sich diese besonderen Fähigkeiten anzueignen. Dies ist nur dann möglich, wenn wir uns jeden Tag von neuem anstrengen und diese Fähigkeiten immer wieder trainieren.
Versuchen achtsam zu leben, beinhaltet demütig zu werden, dankbar zu sein und unsere Welt, die Menschen, die Tiere, die Pflanzen und alles was uns sonst noch umgibt, nicht als Selbstverständlichkeit zu sehen. Es ist die Einmaligkeit in unserer so vielfältigen und bunten Welt, die wirklich zählt. Das sind die wahren Edelsteine, die uns umgeben und umhüllen.
Sich bei sich selbst geborgen zu fühlen, sich gefunden zu haben und mit sich selbst, trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Schmerzen, zufrieden zu sein, wird uns langfristig dabei helfen, ein zufriedeneres und glücklicheres und sinnvolles Leben zu erreichen.
Menschen, die nicht betroffen sind, können sich meistens nicht ansatzsweise vorstellen, was es bedeutet, täglich mit Schmerzen leben zu müssen, aber es hilft uns, wenn wir merken, dass es unsere Mitmenschen wenigstens versuchen.
Schlussendlich können wir drei wichtige Punkte zusammenfassen:
Punkt 1: Derzeit ist es nicht möglich ein bereits chronisches Schmerzgedächtnis vollkommen zu löschen.
Punkt 2: Es ist möglich, das Schmerzgedächtnis positiv zu beeinflussen.
Punkt 3: Im hier und jetzt zu leben, sich dem „Augenblick“ zu widmen, sich neue Ziele zu setzen, sind die besten Möglichkeiten, die wir haben, um unsere chronischen Schmerzen zu reduzieren und so in den Hintergrund zu stellen.
Ergänzende Quelle:
https://youtu.be/pKfRhTk3yjY